Intro (Germany)
August 20, 2002

Idaho
We Were Young And Needed The Money
((Caroline / Efa))

“Meine liebe Sonja”, begrüßt mich mein Lieblingsredakteur, “da habe ich was für dich ...” Die Grateful-Dead-10-CD-Box? Die Matador-Werkschau in Platin auf DVD? Die goldene Rough-Trade-Records-Card? “Müsste genau dein Ding sein ... so Richtung Red House Painters, American Music Club, Codeine, Manowar ... Okay, Manowar war jetzt ein Scherz, aber die Namen der anderen Sadcore-Slacker werden da ganz lapidar im Info-Sheet gedroppt. Kennst du Idaho?” Geh mir weg mit Idaho, will ich da noch denken, kennst du Bad Münstereifel? Aber dann dämmert es mir: Der Großverdiener mir gegenüber meint mitnichten den amerikanischen Kartoffelstaat, sondern die gleichnamige Band von Jeff Martin (nicht der Jeff Martin von The Tea Party, versteht sich). Ich reagiere, wie das eigentlich nur die truesten Journalistinnen hinkriegen: “Wie, die gibt’s noch?” Living on the edge! “Allerdings! Hier, fang! Und um dein Gedächtnis aufzufrischen, nimm die auch noch mit! Und die hier auch! Und jetzt, wimps and posers, leave the hall!” Dergestalt entlassen, schaue ich mir die Platten an. Aha, man veröffentlicht mittlerweile ganz autonom im Selbstvertrieb. Das musste ja mal so kommen im Zuge der, äh, Globalisierung. Martins Musik ist eigentlich eine ganz wundervolle, angesiedelt irgendwo zwischen Songwriter-Pop und diesem Befindlichkeits-Ding, ihr wisst schon: the lowest low is only a beginning. Der klassische Pianist unterschrieb 1993 bei Caroline, als Swell noch Swell waren und diese Art von Musik gerade den Shoegazer von nebenan verzückte und allgemein gut ankam. Indes, nennenswerte Verkäufe generierte die Band nie, und aus den Musikzeitschriften verschwanden Idaho, die jahrelang als “chronisch unterschätzt” galten, am Ende ganz. Seitdem ist Jeff Martin auf Dauertournee und bringt seine Platten in schöner Regelmäßigkeit selbst raus. Mittlerweile sind das acht Longplayer, wenn man die aktuelle Veröffentlichung von Outtakes, “We Were Young ...”, mitzählt, und natürlich fragt man sich da langsam, ob die kreative Substanz eine derartige Karriere noch rechtfertigt. Während “Hearts Of Palm” (2000) dem Idaho-Kanon nichts Neues hinzuzufügen vermochte, plädiert “Levitate” von 2001 eindeutig für ein Ja. Martins homogenstes Werk ist ein 44minütiges Album-Statement in Moll, intensiv und verstörend schön. Eine Einstiegsdroge, ein Moment des Lebens im echten Leben. Während ich auf dem Rücken liege und die letzten Töne des Titelstücks verklingen, beginnt der Herbst. Dass “We Were Young ...” trotz aller Schönheit nur als Dreingabe gesehen werden kann, ist nicht schlimm, denn man sollte sich ausnahmsweise mal auf seine Jäger- und Sammlernatur zurückbesinnen und sich einfach alles einverleiben, wo Kartoffelstaat draufsteht und Jeff Martin drin ist. So werden bessere Menschen gemacht.

Autor: Sonja Müller

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